Vorsorge, Prävention

Sepsis – ein lebensbedrohlicher Notfall

Bei einer Sepsis, auch Blutstrominfektion oder umgangssprachlich manchmal Blutvergiftung genannt, kommt es im Rahmen einer Infektionserkrankung zu einer Ausbreitung der Erreger über das Blutgefäßsystem. Nachfolgend entsteht eine überschießende Immunreaktion, die die Organe der Betroffenen angreift und ohne frühzeitige Behandlung im septischen Schock endet und in Deutschland und Europa bei circa einem Drittel der Betroffenen tödlich verläuft. Laut kumulativen Daten aus den Jahren 1990 – 2017 treten in Deutschland jährlich mindestens 279.000 Sepsisfälle auf – aufgrund der hohen Dunkelziffer lässt sich die genaue Zahl jedoch nur schwer abschätzen. Schätzung für die Zahl der Todesfälle aufgrund von Sepsis reichen von ca. 50.000 Todesfällen pro Jahr bis zu 75.000 , und entsprechen somit mindestens einem Todesfall alle 10 Minuten. Wie kann Sepsis schneller erkannt werden, um mehr Menschen vor den fatalen Folgen bewahren zu können?

Sepsis: häufig und gleichzeitig kaum wahrgenommen

Trotz der sich stetig verbessernden medizinischen Versorgung sterben weiterhin viele Menschen an Sepsis, insbesondere Säuglinge und ältere Menschen sind gefährdet. In der Bevölkerung besteht kaum Wissen über Sepsis allgemein und die möglichen Symptome wie Fieber mit Schüttelfrost, Herzrasen, Kurzatmigkeit, feuchte Haut oder kalte Extremitäten, Schwäche, starkes Krankheitsgefühl sowie Desorientiertheit. Diese Symptome werden von vielen Menschen nicht mit Sepsis in Verbindung gebracht. Der jährliche Welt-Sepsis-Tag am 13. September soll dazu beitragen, Missstände bei der Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation der Sepsis zu minimieren. Die durch die Weltverbände in der World Sepsis Declaration definierten Ziele sind:

  • Sepsis auf die öffentliche und wissenschaftliche Agenda bringen
  • Qualifizierte Akut- und Post-Akuteinrichtungen gewährleisten
  • Maßnahmen zur Implementierung von nationalen bzw. internationalen Sepsis-Leitlinien in die klinische Praxis unterstützen
  • Entscheidungsträger und Interessengruppen im Gesundheitssystem mobilisieren
  • Sepsis-Überlebende und Hinterbliebene einbeziehen  

Insbesondere die frühzeitige Erkennung und Prävention der Sepsis soll durch die Thematisierung in Öffentlichkeit und Wissenschaft verbessert werden. Zu den präventiven Maßnahmen gehören Hygiene in allen Bereichen des täglichen Lebens, insbesondere Händewaschen und hygienischer Umgang mit Lebensmitteln, sowie Impfungen zur Vermeidung schwerer Infektionen, bspw. Pneumokokken-, Meningokokken- oder Grippeinfektionen. Liegt bereits eine Infektion vor, etwa eine Pneumonie, ist eine adäquate Behandlung wichtig, um eine Sepsis zu verhindern. Kommt es dennoch zur Ausbildung einer Sepsis, ist eine frühe Diagnose von entscheidender Bedeutung für den weiteren Verlauf.

Frühzeitige klinische Erkennung der Sepsis

Die Diagnose der Sepsis wird durch die beschriebenen unspezifischen Symptome erschwert. Die Sepsis 3 Task Force, eine internationale Arbeitsgruppe der European Society of Intensive Care Medicine und der Society of Critical Care Medicine, erarbeitete im Jahr 2016 den SOFA-Score (Sequential Organ Failure Assessment). Er umfasst sechs Organsysteme, die nach vier Schweregraden der Organdysfunktion eingestuft werden, was in 0 bis 24 Punkte resultiert. Da die Bestimmung des SOFA-Scores unter anderem auch auf Laboruntersuchungsergebnisse basiert, also nicht ad hoc bestimmbar ist, und er somit vorzugsweise zur regelmäßigen Verlaufsbeobachtung auf Intensivstationen anstatt zur Früherkennung eingesetzt werden kann, wurde der qSOFA-Score (quick SOFA) zur Evaluation eines Sepsisrisikos eingeführt. Der qSOFA umfasst drei Kriterien:

  • Verändertes Bewusstsein (Glasgow Coma Scale < 15)
  • Atemfrequenz ≥ 22/min
  • Blutdruck: systolisch ≤ 100 mmHg

Das Vorliegen von zwei oder drei der Kriterien weist auf eine Sepsis hin. Die Sensitivität des qSOFA zur Sepsiserkennung ist jedoch gering. Daher wird er nicht mehr als alleiniges Instrument zur Früherkennung empfohlen und ein Scoring System mit einer höheren Sensitivität, einer einfacheren und schnellen Erhebung durch Pflegemitarbeiter*innen und gleichzeitigen Handlungsanweisungen einzuleitender medizinischer Maßnahmen und Kontrollen, der National Early Warning Score 2 (NEWS2), wurde entwickelt und evaluiert. Der NEWS2 Score basiert auf einem einfachen aggregierten Scoring-System mit der Feststellung von Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung mit oder ohne Sauerstoffgabe, systolischer Blutdruck, Herzfrequenz und Vigilanz.


Figure 1: News Early Warning Score 2 (NEWS2) zur Bewertung der Dringlichkeit und Intensität nötiger medizinischer Maßnahmen; adaptiert von https://www.rcplondon.ac.uk/projects/outputs/national-early-warning-score-news-2

Frühe Diagnostik bei Verdacht auf Sepsis

Falls der Verdacht einer Sepsis klinisch gestellt wird, soll laut Leitlinien und Empfehlungen unmittelbar eine umfassende Diagnostik des verursachenden Erregers und des Infektionsherdes – möglichst vor der ebenfalls schnell einzuleitenden ursächlichen Therapie mittels Antibiotika – erfolgen. Hierfür ist die Abnahme von optimalerweise drei Blutkultursets (Sensitivitätserhöhung um 34% im Vergleich zu einem Blutkulturset) und sekundär geeigneten Untersuchungsmaterialien der potenziellen Infektionsherde wie beispielsweise die Gewinnung von Liquor, Urin, Wund- und Atemwegssekrete zu nennen. Jede Stunde früherer Antibiotikatherapie-Beginn – so wie eine frühzeitige Blutkulturdiagnostik – verbessern das klinische Outcome und erhöhen die Überlebenswahrscheinlichkeit. Daher sind bei der Sepsis-Erkennung, -Diagnostik und -Behandlung Koordination und Eile geboten.

Eine Übersicht zur Labordiagnostik bei Sepsis bietet unser LaborInfo.

Fazit

Trotz der hohen Letalität von bis zu 40% und einer jährlichen Inzidenz von mindestens 279.000 Fällen in Deutschland ist das das Bewusstsein für Sepsis weiterhin gering. Initiativen wie der Welt-Sepsis-Tag sollen Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation der Sepsis voranbringen. Laut Leitlinie ist die Sepsis definiert als „eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion, hervorgerufen durch eine inadäquate Wirtsantwort auf eine Infektion“. Durch Erfassung des National Early Warning Score 2 (NEWS2) kann klinisch das Sepsisrisiko und die Dringlichkeit und Intensität notwendiger medizinischer Maßnahmen frühzeitig erfasst werden. Für eine möglichst rasche Identifizierung des Sepsis auslösenden Bakteriums ist eine mikrobiologische Diagnostik mit Blutkulturen aus möglichst drei – jedoch mindestens zwei – Blutkultur-Sets empfohlen. Diese können simultan peripher aus möglichst verschiedenen Venen und gleichzeitig zentral gewonnen werden. Eine mikrobiologische Diagnostik des Infektionsherdes ist ebenso wichtig.

Diagnostik und Therapie sollen so rasch wie möglich durchgeführt werden. Denn: Sepsis ist ein Notfall! Jede Stunde Therapieverzögerung kostet Leben!

Referenzen:

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Ihr Ansprechpartner

Dr. Martin Hampel
news@limbachgruppe.com

 

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Empfehlung der Leitliniengruppe

Die Leitliniengruppe empfiehlt für die Diagnostik mikrobiologische Kulturen von drei – mindestens jedoch immer zwei - Blutkultur-Sets (bestehend aus jeweils einer aeroben und anaeroben Flasche) aus möglichst verschiedenen Venen und gegebenenfalls zentral-venösen Katheter.

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